Sira Teil 6: Öffentliche Verkündung
Drei Jahre nach der Berufung erhielt der Prophet eine Offenbarungen, die seine Aufgabe auf eine neue
Ebene hoben:
O du Zugedeckter! Erhebe dich und warne. Und preise die Größe deines Herrn. Und
reinige deine Kleider. Und meide den Götzendienst. Und poch nicht auf dein Verdienst um mehr zu erhalten. Und sei standhaft um deines Herrn willen. (al-muddaththir; 74;
1-7)
Eine andere Offenbarung aus diesen Tagen war:
So verkünde laut, was dir befohlen wurde, und wende dich von den Götzendienern
ab. Wir werden dich vor den Spöttern schützen, die einen anderen Gott neben Allah setzen, doch bald werden sie es zu wissen bekommen. Wir wissen, dass deine Brust beklommen ist von ihrem Gerede. Aber
lobpreise deinen Herrn und sei unter denen, die sich niederwerfen. Und diene deinem Herrn, bis das sichere Los dich ereilt. (al-hijr; 15; 94-99)
Abu Lahab
Schon zuvor hatte er den Befehl erhalten, seinen engen Familienkreis zu „warnen“. Nun sollte er sich ganz allgemein „erheben und warnen“, die Botschaft „laut“, d.h. öffentlich verkünden. Er predigte
von der Herrlichkeit der Schöpfung und ihrer Größe, von den beständigen Gesetzen der Natur, von Tag und Nacht, von Entstehung und Vergänglichkeit, von Leben und Tod, von der Verwerflichkeit von
Aberglaube und Götzendienerei, von Auferstehung und Gericht – und von Gott, dem Einen und Allmächtigen.
Die Koraisch hatten gegen alles, was der Prophet predigte, vordergründig nichts einzuwenden, nur gegen die Ablehnung des Götzendienstes und die Verneinung der Göttlichkeit ihrer Götzen. Diesen Inhalt
seiner Botschaft konnten sie nicht dulden und begaben sich in offene Feindseligkeit ihm gegenüber.
Sein Onkel Abu Lahab gab dafür schon gleich zu Beginn den Startschuss. Als der Prophet sich auf die Safa, einen Hügel nahe der Moschee, stellte und die Koraisch zum ersten Mal zusammenrief um sie vor
dem Jüngsten Gericht zu warnen, war es Abu Lahab, der ihn laut verspottete. Schon zuvor hatte er seinen Neffen als Schmach und Schande für die Familie bezeichnet.
Die Oberhäupter der Stadt nahmen den Propheten ernst – nämlich als Gefahr für ihre Stellung und ihr Ansehen unter den Arabern. Die Mächtigkeit seiner Worte und die Inbrunst der Überzeugung seiner
Jünger waren ihnen nicht verborgen geblieben. Sie begaben sich schon sehr früh zu Abu Talib, dem Oberhaupt der Banu Haschim, des Clans des Propheten. Vielleicht versuchten sie zu Beginn, mit ihm zu
reden und ihn mit Argumenten zu überzeugen, seine schützende Hand über Muhammad wegzunehmen. Als sie erkannten, dass Abu Talib zum Schutz seines Neffen fest entschlossen war, machten sie mal
Angebote, mal äußerten sie offene Drohungen.
Abu Talib
Es gibt viele Berichte von diesen Unterredungen mit Abu Talib, die sich in den Jahren offenbar mehrmals wiederholt haben. In einer der früheren Sitzungen sollen einige Entsandte der Stadt ihn ermahnt
haben, er solle endlich etwas tun, um die Aktivitäten seines Neffen zu unterbinden. Zu lange hätten sie schon gewartet. „Wir werden es nicht dulden, dass er unsere Väter beleidigt, unsere Sitten
verspottet und unsere Götter verschmäht. Entweder du bringst ihn dazu, dass er es unterlässt, oder wir erklären euch den Krieg.“ Für Abu Talib war die Drohung sehr ernst, denn er riskierte, dass die
Banu Haschim sich bald im Krieg den versammelten Koraisch gegenübersehen könnten. Er sprach vertrauensvoll mit Muhammad, berichtete ihm von der Drohung und bat ihn, ihm keine Last aufzubürden, die er
nicht tragen konnte. Die Überlieferung berichtet hier von einer sehr bekannten Aussage des Propheten, mit der er Abu Talib seine Entschlossenheit bekundete: „Selbst wenn sie die Sonne in meine Rechte
und den Mond in meine Linke legten, um mich von diesem Weg abzubringen, ich werde ihn nicht verlassen, bis Gott ihm zum Sieg verholfen hat oder ich für ihn gestorben bin.“ Wie sollte der Prophet von
seinem Weg denn auch ablassen, ist er ihm doch vom Herr der Welten aufgegeben worden? Das Gespräch muss sehr ernst gewesen sein und mit Tränen geendet haben. Abu Talib erklärte Muhammad am Ende, dass
er auf seinen Schutz zählen konnte. Auch wenn die Authentizität dieses Berichts im Detail umstritten ist, so dürfte sie die Situation doch treffend dokumentieren.
Sumayya
Es dauerte nicht lange, bis die Koraisch begannen, die ärmeren und schutzlosen Anhänger des Propheten zu verfolgen, und, wo sie die Möglichkeit hatten, sie auch zu foltern. Wehrlos waren vor allem
Männer und Frauen, die von außerhalb zugezogen waren und daher nicht den Schutz einer mekkanischen Sippe genossen, vor allem aber Sklaven.
Ein solcher Fall war der Sklave Bilal. Sein Herr Umayya ließ ihn vor die Stadt bringen und dort unter der glühenden Sonne auf einen Felsstein legen und auspeitschen. Er sollte die Namen ihrer Götzen
rufen, aber er wiederholte unter den Schmerzen der Folter nur den Ruf „Einer! Einer!“. Diese Worte sollten sich als bewundernswertes Beispiel für gläubige Standhaftigkeit und als einer der
Meilensteine islamischer Geschichte in das kollektive Gedächtnis der Muslime eingraben. Abu Bakr kaufte ihn später frei und nahm ihn in seinen Schutz.
Ein weiteres Opfer der Verfolgung war die Familie Yassir. Sumayya, die Mutter wurde als Opfer der Wut von Abu Jahl, sehr einflussreichen Mann in Mekka, zur ersten Märtyrerin. Ihr Sohn Ammar gab der
Folter nach und rief einen Götzennamen. Er ging darauf hin mit schlechtem Gewissen zum Propheten, der ihn jedoch ermutigte: „Wenn sie es noch mal tun, dann tu es noch mal!“ Aber auch Mitglieder
eingesessener Familien wurden verfolgt, nämlich von der eigenen Familie.