Sira Teil 26: Der Prophet verabschiedet sich von dieser Welt

 

Es war jenes Leben eines gottergebenen, dankbaren und sehr viel betenden Menschen, dem noch eine Station der Bezeugung der Ergebenheit an Gott, den Einen, fehlte: Die große Wallfahrt nach Mekka, die Hajj. Im Jahre 10 n.H. (März/April 632 n.Chr.) war es endlich soweit. Der Prophet machte sich mit einer großen Schar von Gläubigen Männern und Frauen auf den Weg, diesen letzten Pfeiler des Islam, die fünfte rituelle Pflicht zu erfüllen.

Die Abschiedswallfahrt

Er rief die Muslime von überallher zusammen, sich zu dieser noch nie da gewesenen Menschenversammlung in Mekka einzufinden. Und sie kamen zu vielen Tausenden. Berichte sprechen von 100.000 Menschen, die an diesem unvergleichlichen spirituellen Ereignis teilnahmen, das sich fortan ohne den Propheten jährlich wiederholen und beständig wachsen würde. Und auch diesmal sagte er zu den Leuten: „Nehmt von mir die Regeln dieses Ritus [schaut mir genau zu], denn ich weiß nicht, ob ich euch nach diesem Jahr noch mal begegnen werde.“ Aber nur die wenigsten seiner Gefährten, auch der engsten unter ihnen, verstanden dies als Ankündigung seines nahenden Abschieds. Zu schön war seine Gegenwart. Zu unvorstellbar seine Abwesenheit. Sie verdrängten alle Anzeichen für diesen kommenden schwierigen Moment.

Was ist heilig?

Vom Hügel Arafa – und noch mal an anderen Stationen der Wallfahrt – hielt er bewegende Reden vor den Versammelten und sprach einige der wichtigsten Punkte seiner Botschaft noch einmal an: Seid einander gute Geschwister, werdet nach mir nicht zu Ungläubigen, die sich gegenseitig die Köpfe abschlagen, lasst ab vom Wucher, seid gut zu euren Frauen und – vor allem – vergesst nicht, dass ihr eines Tages vor eurem Herrn stehen werdet und Verantwortung für euer Tun tragen müsst. „Was für ein Tag ist dieser Tag?“ fragte er. Die Menschen schwiegen, bis er selbst die Stille unterbrach: „Es ist ein heiliger Tag! – Und was für ein Ort ist dieser Ort?“ Wieder Schweigen. „Es ist ein heiliger Ort!“ – „Und was für ein Monat ist dieser Monat? – Es ist ein heiliger Monat!“ Dann fuhr er fort: „Euer Blut, euer Vermögen und eure Würde sind euch gegenseitig ebenso heilig wie dieser Tag an diesem Ort in diesem Monat!“ Und in dem immer präsenten Bewusstsein, eine Aufgabe in diesem Leben gehabt zu haben, eine Pflicht, nach der er eines Tages gefragt werden würde, schloss er seine Predigt mit einer ernsten Frage: „Ihr werdet nach mir gefragt werden. Was werdet ihr sagen?“ Sie antworteten ihm: „Wir werden bezeugen, dass du überbracht und ausgehändigt und gut beraten hast.“ Daraufhin erhob er seinen Zeigefinger zum Himmel und wiederholte dreimal: „Oh Gott, so sei Zeuge hierfür!“
Auf dieser Wallfahrt wurde ihm einer der letzten Verse des Koran offenbart:

Heute habe Ich euch euren Glauben vollendet und habe Ich meine Gnade an euch verwirklicht und Mein Wille ist, dass der Islam euer Glaube sei. (al-maida; 5:3)

Die letzte Erkrankung des Propheten
Gegen Ende des Monats Safar des Jahres 11 n.H. (Mai 632 n.Chr.), also zwei Monate nach der Abschiedswallfahrt, erkrankte der Prophet. Sein endgültiger Abschied vollzog sich in zwei Wochen. Die ersten elf Tage fühlte er sich noch kräftig genug, zu jedem Gebet in die Moschee zu gehen und es als Imam zu leiten. Er rief die Leute noch einmal zu sich und legte ihnen das tägliche Gebet und den Koran ans Herz. Dann wies er an, die sechs oder sieben Dirham, die sich in seinem Besitz befanden, zu spenden. Er bat die Leute, sich zu melden, wenn er ihnen irgend etwas schuldete.

„Oh Gott, in die höchste Vereinigung!“

Einmal sprach er während dieser Tage auf der Kanzel von einem Mann, der vor die Wahl zwischen den Schlüsseln des Diesseits und der „höchsten Vereinigung“ (wörtl.: dem höchsten Gefährten) gestellt worden sei. Dieser Mann habe sich für die höchste Vereinigung entschieden. Nur Abu Bakr schien diese Botschaft verstanden zu haben und seine Augen füllten sich mit Tränen.
Die letzten Tage vor seinem Tod musste der Prophet liegen bleiben und bat seine Frauen um ihre Erlaubnis, diese Zeit bei Aischa zu bleiben. Seine Tochter Fatima kam einmal zu ihm und küsste ihn. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und sie weinte. Dann flüsterte er ihr noch einmal etwas zu, und sie lächelte. Später wurde sie gefragt und sie sagte, dass er ihr beim ersten Mal gesagt hätte, dass er bei dieser Krankheit sterben würde, beim zweiten Mal hätte er ihr gesagt, sie würde ihm als erste folgen. Fatima überlebte ihn nur um einige Monate. Bei einem weiteren Besuch ihres Vaters weinte sie und sagte: „Oh Vater, dein Schmerz!“ Er lächelte und sprach zu ihr: „Deinen Vater trifft nach diesem Tag kein Schmerz mehr.“
Er lies seine Enkel Hassan und Hussain zu sich kommen und verabschiedete sich von ihnen. Auch seine Frauen versammelte er noch einmal alle zum Abschied um sich. Einmal fühlte er sich dann doch kräftig genug und lies sich neben Abu Bakr setzen, den er als Imam in seiner Vertretung eingesetzt hatte. Der Prophet führte das Gebet fort und die Menschen folgten ihm.
Ein weiteres Mal lies er sich zur Tür seiner Wohnung helfen, die nur durch einen Vorhang von der Moschee getrennt war. Er beobachtete die Gläubigen, die sich in der Verrichtung des Morgengebets befanden und lächelte glücklich. Dann lies er sich wieder hinlegen. Eine seiner letzten Aussagen war: „Das Gebet, das Gebet, und seid gut zu euren Sklaven.“
Seine letzten Worte waren Gebete zu Gott: „Zusammen mit den Propheten und den Aufrichtigen und den Märtyrern und den Rechtschaffenen. Gott vergib mir und erhebe mich in die höchste Vereinigung! Oh Gott, in die höchste Vereinigung!“ Dies war am 12. Rabi’ Awwal im Jahre 11 n.H. (8. Juni 632 n.Chr.)

„Wer zu Muhammad gebetet hat, Muhammad ist nun gestorben!“

Die ungeheure Nachricht drang nach außen. Die Menschen konnten es nicht fassen und waren von Trauer bedrückt. Anas, ein junger Mann und enger Begleiter des Propheten, sagte: „Ich habe keinen helleren und schöneren Tag erlebt als jenen seiner Ankunft in Medina und keinen dunkleren und traurigeren als den seines Todes.“
Selbst Omar schien von der Schwere der Kunde benommen zu sein und erklärte den Leuten in der Moschee, er sei zu seinem Herrn nur in der Weise gegangen, wie einst Moses auf den Berg gegangen war. Und er werde wiederkommen und die Heuchler, wie er sagte, die diese Nachricht verbreiteten, zur Rechenschaft ziehen. Abu Bakr hingegen begab sich in die Wohnung seiner Tochter Aischa und sah die Wahrheit mit eigenen Augen. Dann begab er sich in die Moschee und bat die Leute um Ruhe. Doch Omar wollte nicht schweigen. Erst als Abu Bakr Gottes Einheit sprach, wendeten sich die Menschen von Omar ab und hörten ihm zu.
Dann überbrachte er ihnen die endgültige Gewissheit: „Wer Muhammad gedient hat, Muhammad ist nun gestorben. Wer Gott gedient hat, Gott ist lebendig und stirbt nicht.“ Dann rezitierte er eine Stelle aus dem Koran:

Muhammad ist nur ein Gesandter. Vor ihm sind schon die Gesandten dahingegangen. Wenn er nun stirbt oder getötet wird, werdet ihr dann auf euren Fersen kehrt machen? (aal imran; 3; 44)

Erst beim Vernehmen dieser Stelle des Koran, die sehr wohl kannten, sie nahmen die Leute die schmerzliche Wahrheit an. Ibn Abbas erzählt, den Leuten war, als hätten sie diesen Vers zum ersten Mal gehört. Und sie hätten ihn immer wieder vor sich hergesagt. Und Omar sagte: „In dem Augenblick, als Abu Bakr diesen Vers rezitierte, war mir klar, dass es stimmte. Meine Beine wurden schwach und ich ging zu Boden.“