Die Sira des Propheten Teil 1

 

Muhammad prägte die Menschheitsgeschichte wie kaum ein anderer einzelner Mensch. 571 n. Chr. in einer politisch und zivilisatorisch unbedeutenden Region dieser Welt geboren und 610 zum Propheten berufen, hatte er bei seinem Tod 632 das Gesicht Arabiens grundlegend umgestaltet - und eine Botschaft verkündet und vorgelebt, die in kurzer Zeit nach ihm die bis dahin bekannte Welt unumkehrbar verändern sollte. Heute ist er immer wieder Entzündungspunkt heftiger Diskussionen und schwieriger Missverständnisse.

Doch wer war dieser Prophet? muhammad.islam.de stellte im Ramadan 1427/2006 seine Geschichte vor: die Sira.
Jeden Tag ein Stück Geschichte seines Lebens, Tag für Tag ein paar Schritte des Weges. Wir begleiteten im „Monat des Koran“ den Menschen, der den Koran überbracht hat, bis wir uns zur 27. Nacht von ihm verabschiedeten. Vorerst.

Sira, Teil 1 - Die frühe Kindheit Muhammads


Das Jahr 53 vor der Hijra (v.H.) war für Mekka ein bedeutsames Jahr: Da war zunächst der versuchte Angriff des Jemen, das damals zum Herrschaftsgebiet des christlichen Abessiniens gehörte. Dem abessinischen Statthalter Abraha ging es um nichts Geringeres als um die Zerstörung der Ka’ba, des höchsten Heiligtums der Araber. Das zweite Ereignis, das bis heute von prägender Bedeutung für die Stadt geblieben ist, war die Wiederentdeckung der Quelle von Zamzam, die nach einem lange zurückliegenden Krieg verschüttet und seither beinahe vergessen worden war. Der Brunnen, der bis heute die gesamte Stadt und ihre Millionen Pilger mit reichlich Wasser versorgt, ist im bildlichen Sinne seither die Lebensader der von lebensfeindlicher Wüste umgebenen Stadt.

Das Jahr des Elefanten

In diesem „Jahr des Elefanten“, so benannt nach dem Heer des Abraha, in dem Elefanten eingesetzt wurden, am 9. des Monats Rabi’ Awwal, kam Muhammad bin (Sohn des) Abdullah bin Abd al-Muttalib zur Welt. Nach christlicher Zeitrechnung war es im April des Jahres 571. Nicht nur vor dem Hintergrund der genannten Ereignisse war die Geburt Muhammads nur für seine Familie ein Ereignis von Bedeutung, auch wenn der Volksglaube von einer Vielzahl wundersamer Erscheinungen berichtet.

Mekka war eine bedeutende Handelsstadt. Ihre Gesellschaft bestand aus verschiedenen Stammesverbänden. Muhammads Großvater Abd al-Muttalib war ein angesehener Mann seines Stammes und einer der politischen Oberhäupter der Stadt. Sein Vater Abdullah starb sehr jung, noch vor der Geburt seines Sohnes. Auch seine Mutter Amina erlebte Muhammad nicht mehr lange. Sie verstarb, als er sechs Jahre alt war. Muhammad war das einzige Kind von Abdullah und Amina.

In Mekka war es Brauch, dass die Familien, die es sich leisten konnten, ihre Söhne bald nach der Geburt zu Milchmüttern aufs Land schickten, um dort in gesunder Umgebung aufzuwachsen. Für die Milchmütter war die Aufnahme der Kinder vor allem eine Erwerbsquelle. Daher waren bei ihnen jene Kinder am begehrtesten, die besonders reiche Eltern hatten. So war es auch bei Halima aus dem Stamm der Banu Sa’d. Die anderen Frauen waren ihr jedoch zuvorgekommen, und es war nur noch das Waisenkind des Abdullah übrig geblieben. Sie nahm ihn schließlich nur an, um nicht mit leeren Händen zurückzukehren. Das war in den ersten Wochen seines Lebens.

Vier Jahre in der Obhut von Halima

Aus den anschließenden vier Jahren in Banu Sa’d kennt die Überlieferung sehr viele wundersame Geschichten, die vom ungewöhnlichen Milchreichtum der Halima über reichhaltige Tierzuchterträge bis zur Begegnung mit einem Engel, der Muhammads Brust öffnete und sein Herz reinwusch. Jedenfalls muss sein Aufenthalt bei der Familie für die Eltern und die Kinder eine segenreiche Zeit gewesen sein, ganz anders als Halima zunächst befürchtet hatte, denn nach den üblichen zwei Jahren bat sie seine Mutter so lange, ihn noch länger bei ihr zu lassen, bis sie zustimmte.

Nach seiner Rückkehr mit vier Jahren war Muhammad zunächst bei seiner Mutter. Er verbrachte fast zwei Jahre bei ihr und im Umfeld der Großfamilie seines Großvaters. Einmal nahm ihn seine Mutter mit auf eine Reise nach Yathrib, dem späteren Medina, wo sie ihre Familie und das Grab ihres Mannes besuchte. Auf der Rückreise verstarb sie und ihre Sklavin Baraka, die mitgereist war, brachte ihn nach Mekka zurück. Damals war er sechs Jahre alt. Danach nahm ihn sein Großvater Abd al-Muttalib zu sich. Nach dessen Tod zwei Jahre später nahm ihn sein Onkel Abu Talib in seine Familie auf. Hier sollte er bis zu seiner Hochzeit bleiben.

Nach den verschiedenen Überlieferungen über diese Zeit zu urteilen, muss Muhammad trotz des frühen Todes seiner Eltern eine glückliche Kindheit gehabt haben. Auf dem Land bei Banu Sa’d, wo auch sein gleichaltriger Onkel und Spielkamerad Hamza bei einer Milchmutter untergebracht war, galt er als das Geheimnis des ungewöhnlichen Wohlstands der Familie, dann die zwei Jahre bei seiner Mutter und ihrer ebenso liebevollen Sklavin Baraka, weitere zwei Jahre bei seinem Großvater und schließlich bei seinem kinderreichen Onkel, die ihn beide für ein besonderes Kind hielten. In all der Zeit war er immer mit vielen Kindern zusammen: seine Milchgeschwister auf dem Land und seine Vettern und Basen in der Großfamilie, darunter Hamza, um den er viele Jahre später bei seinem Tod viel weinen würde, Jaafar, sein ebenfalls fast gleichaltriger Vetter, den er liebte wie seinen Bruder, und Umm Hani, seine Base, die er noch in fünfzig Jahren immer wieder gerne auf ein familiäres Stündchen besuchen würde.