Sira Teil 17: Uhud

 

Eine untragbare Situation für Koraisch

Die Mekkaner konnten die Schmach der vernichtenden Niederlage von Badr nicht auf sich sitzen lassen. Obwohl ihre wichtigsten Führer gefallen waren, begannen sie gleich nach ihrer Rückkehr für den nächsten Feldzug gegen Medina zu rüsten. Sie einigten sich auch, auf ihre geretteten Warenladungen aus Syrien zu verzichten und sie zur Finanzierung des nächsten Feldzuges zu verwenden. Eine große Rolle für ihren Entschluss, in den Kampf zu ziehen, spielte auch, dass die Unterbrechung ihrer Handelsroute nach Irak und Syrien durch die Medinenser nun besiegelt war. Auch eine Karawane, die sie über das Landesinnere in den Irak zu bringen versuchten, d.h. über eine völlig ungewöhnliche Route, konnten die Muslime abfangen.

Als sich Badr jährte, hatten sie eine stolze Armee von 3.000 Mann und 200 Reitern zusammengestellt, darunter auch Kämpfer aus anderen verbündeten Stämmen. Der Prophet beriet sich mit seinen Leuten und sie beschlossen, sich nicht in der Stadt belagern zu lassen. Sie rückten Anfang Schuwal 3 n.H. (März 625 n.Chr.) zunächst mit rund 1.000 Mann zum Berg Uhud nördlich von Medina aus. Mitten auf dem Weg begann der Kopf der Heuchler Abdullah bin Ubayy, sich gegen die beschlossene Verteidigungsstrategie zu wenden. Er war, genauso wie der Prophet zunächst auch, dafür gewesen, die Stadt von innen heraus zu verteidigen. Er schaffte es, mit einem großen Teil der Khazraj kehrt zu machen, so dass die Muslime nur noch mit 700 Mann in den Kampf zogen.

„Einige von euch trachten nach dieser Welt“

Trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit konnten die Muslime die mekkanische Übermacht zunächst fast bezwingen und die Angreifer begannen schon zu fliehen. Aber Bogenschützen, die der Prophet auf einem strategischen Hügel positioniert hatte, verließen ihre Position und begaben sich in die Kampfebene. Sie hatten die Flucht der Mekkaner gesehen und wollten sich die Beute nicht entgehen lassen. Ihre Habgier hatte sie den unmissverständlichen Befehl des Propheten missachten lassen. Es war das erste Mal, dass ein Großteil der muslimischen Gemeinde sich in diesem Ausmaß von irdischen Gütern leiten ließ.

Khalid ibn al-Walid, der Anführer der mekkanischen Kavallerie, erkannte die so entstandene Lücke in den Verteidigungslinien der Muslime, führte seine Männer unbehelligt um den Berg herum und setzte von hinten zum erneuten Angriff auf die überraschten Muslime an. Die andere Front der Mekkaner, die sich im Rückzug befand, kehrte zurück. Die Muslime waren somit eingekesselt. Der Kampf wendete sich im Handumdrehen radikal zugunsten der Mekkaner. Sie durchbrachen schnell die zum Teil schon aufgelösten Linien der Muslime. Unter den Muslimen brach ein unsägliches Chaos aus. Sie kämpften in mehrere Richtungen, zum Teil sogar gegeneinander, weil sie in dem Durcheinander Feind von Freud nicht unterscheiden konnten. Der Koran würde in den nächsten Tagen auf seine besondere Art in der 3. Sure (aal imran) von dieser gefährlichen Situation sprechen:

Allah hatte euch Sein Versprechen schon wahr gemacht, als ihr sie mit Seiner Erlaubnis vernichtend schlugt, bis ihr verzagtet und über die Sache strittet und ungehorsam wurdet, nachdem Er euch hatte sehen lassen, was ihr liebt. Einige von euch verlangten nach dieser Welt und andere verlangten nach dem Jenseits. (aal imran; 3; 152)

Einige Muslime rannten in ihrer Flucht den Berg hoch, andere in Richtung Medina. Manche sprachen schon davon, Abdullah bin Ubayy anzurufen, um ihn mit den Mekkanern über eine Kapitulation verhandeln zu lassen.

„Muhammad ist tot!“

Der Prophet, Gottes Segen und Friede über ihn, war mit einer Handvoll Kämpfern auf einem etwas geschützten Beobachterposten geblieben. Von dieser Seite kam die Reiterei des Khalid in die Kampfebene hereingeritten. Als der Prophet sie sah, erkannte er sofort die Gefahr der Lage und rief die Muslime zu sich, wohl wissend, dass er damit Khalids Männer auf sich lenken würde. Die Angreifer erkannten ihre einmalige Chance und wollten sie nutzen, um dem unliebsamen Gegner den lang ersehnten Todesstoß zu versetzen. Der Prophet erlebte die heikelste Situation seines Lebens. Die Kämpfer um ihn herum, unter ihnen auch eine Frau namens Umm Umara, versuchten heldenhaft, ihn gegen die Wucht der mekkanischen Krieger abzuschirmen, aber er bekam dennoch einige gefährliche Verletzungen ab und entkam nur knapp dem Tod.

Die Muslime konnten sich glücklicherweise noch einmal sammeln und eine endgültige Niederlage verhindern. Ihre Verluste waren diesmal viel höher als die der Götzendiener. Unter den Gefallenen war auch der geliebte Onkel des Propheten Hamza, um den er sehr trauerte. Hind, die Frau von Abu Sufian, hatte ihren Vater Utba bin Rabi’a, ihren Onkel und ihren Bruder in Badr verloren und Hamza den geschworen. Sie hatte ihrem Sklaven für seinen Tod die Freilassung versprochen. Nach Abschluss der Kampfhandlungen leitete sie eine Verstümmelungsorgie gegen die Leichen der gefallenen Muslime ein, um ihren Rachedurst zu stillen. Sie soll sogar einen Bissen von Hamzas Leber oder Herz gegessen haben.

„Und wenn ihr geduldig seid, so ist es besser für die Geduldigen.“

Als der Prophet beim Begräbnis der Märtyrer die grauenhaften Verstümmelungen sah, kündigte er aus Entsetzen und im Zorn an, beim nächsten Sieg über sie noch mehr von ihren Gefallenen zu verstümmeln. Hier war Muhammad ganz Mensch und seinem Affekt erlegen. Doch Gott offenbarte ihm folgenden Koranvers, der seinen Affekt zügelte. Er erinnerte ihn daran, dass er doch der Überbringer einer Botschaft war, die über die Schandtaten der Feinde erhaben ist und in der Maß und Gerechtigkeit eherne Prinzipien sind:

Und wenn ihr bestraft, dann bestraft in dem Maße, wie euch Unrecht zugefügt wurde. Wollt ihr es aber geduldig ertragen, dann ist das wahrlich besser für die Geduldigen. Und harre in Geduld aus! Und nur mit Gottes Hilfe wirst du geduldig sein. Sei nicht betrübt über sie und sei nicht unruhig wegen ihrer Ränke. Gott ist mit denen, die Ihn fürchten und die Gutes tun.“ (an-nahl; 16; 126-128)

Diese Worte beruhigten den Propheten und gaben ihm seinen gewohnten Sanftmut wieder. Er bereute seinen Fehler und entschied sich für die mildere Option, die diese Offenbarung eröffnete: Er verbot den Muslimen für die Zukunft diesen widerlichen Brauch.

Die Gefahr ist noch nicht gebannt

Mit dem Abzug der Koraisch war die Begegnung noch nicht zu Ende. Der Prophet befürchtete, dass sie unterwegs beschließen könnten, die Gunst der Stunde zu nutzen und die Muslime in der Stadt anzugreifen. Die Muslime verbrachten diese Nacht in höchster Alarmbereitschaft. Der Prophet gönnte ihnen keine Ruhe und ließ sie gleich am nächsten Morgen ausrücken und etwa acht Meilen vor Medina Stellung beziehen. Dort verbrachten sie drei Nächte und konnten durch das geschickte Streuen von Informationen die Mekkaner von einem erneuten Angriff abhalten, den sie auch tatsächlich vorhatten.

Die Schlacht von Uhud war für die Muslime eine wichtige Lehre. Nachdem sie in Badr auf wundersame Weise gegen eine haushoch überlegene Macht gesiegt hatten, gegen die sie nach materiellen Maßstäben nie eine Chance gehabt hätten, wurden sie durch ihre jetzige Niederlage daran erinnert, dass der Sieg nur von Gott kommt und nicht etwa in ihrer Hand liegt. So wie Er sie in Badr für ihre gerechte und fromme Sache hatte siegen lassen, so ließ Er die Kriegsgunst in Uhud sich gegen sie wenden, als Habgier sie und Übermut sie ungehorsam werden ließen.

Nach Uhud

Die Niederlage von Uhud schwächte das Ansehen der Muslime bei den umliegenden arabischen Stämmen, den Heuchlern und den Juden in Medina. Ein Beduinenstamm bereitete schon kurz danach einen Angriff gegen sie vor, der vereitelt werden konnte. Zweimal wurden friedliche Delegationen des Propheten in den Hinterhalt gelockt und massakriert. Diese beiden Vorfälle, bekannt unter den Stichworten Brunnen von Ma’una und ar-Raji’, gehören zu den schmerzlichsten Erfahrungen der islamischen Entstehungsgeschichte.

Banu Nadhir wollen die Gelegenheit nutzen

Nach Uhud verbargen in Medina vor allem die Juden des Stammes der Banu Nadhir ihre Feindseligkeit nicht mehr. Sie betrachteten die missliche Lage der Muslime als Gelegenheit, den unliebsamen Vormarsch des Islam zu stoppen. Ka’b bin Aschraf, einer ihrer Anführer und ein begnadeter Dichter, hatte schon gleich nach Badr seiner Solidarität mit den Mekkanern poetischen Ausdruck verliehen und die Muslime mit herablassenden Gedichten über ihre Frauen zu provozieren versucht. Es wurde vor aber auch bekannt, dass er im Anschluss an Uhud nach Mekka geritten war, um die Koraisch zu einem erneuten Angriff zu ermutigen. Dabei soll er auch die Hilfe seines Stammes in Aussicht gestellt haben. Der Prophet schickte ein Kommando aus, das ihn umbrachte.

Sein Stamm, die Banu Nadhir, hegte aber weiterhin feindselige Absichten gegen den Propheten und seine Gemeinschaft und offenbarten sie einmal, als der Prophet zu ihnen gekommen war, um sie um Unterstützung beim Aufbringen eines Blutgelds zu bitten. Sie sahen darin eine Gelegenheit, den Propheten selbst zu ermorden. Ihr Mordversuch im Monat Rabi’ al-awwal 4 n.H. (August 625 n.Chr.) misslang. Der Prophet forderte sie daraufhin auf, Medina zu verlassen, worauf sie sich zunächst einlassen wollten. Aber Abddullah bin Ubayy, der Anführer der Heuchler, ermutigte sie, zu bleiben und zu kämpfen und versprach ihnen seine Unterstützung und die eines großen arabischen Stammes, der Ghatafan. Als die Muslime sie belagerten, mussten die Banu Nadhir jedoch feststellen, dass Abdullah sein Versprechen nicht hielt. Sie kapitulierten schließlich und wurden ins Exil geschickt.

„Kein Zwang im Glauben“

Aws und Khazraj lebten in der vorislamischen Zeit in dem Bewusstsein, dass der Glaube ihrer jüdischen Nachbarn besser war als ihr eigener. Deshalb kam es vor, dass Frauen, deren Kinder im Kindesalter starben, Gott gelobten, ihre nächsten Neugeborenen in jüdische Familien zu geben und sie dort jüdisch erziehen zu lassen, wenn sie überleben sollten. Es wird berichtet, dass bei den Banu Nadhir einige Kinder der Ansar lebten, die aus diesem Grund dem jüdischen Glauben angehörten. Ihre Eltern wollten sie bei der Ausweisung zurückbehalten und zum Islam zwingen. Nach der verlässlicheren Überlieferung (Abu Dawud) war dies der Anlass für die Herabsendung des 256. Verses der Sure al-baqara:


“Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der rechte Wandel ist nun klar vom Irrweg. Wer nun die Götzen verleugnet und an Allah glaubt, der hat gewiss den sichersten Halt ergriffen, bei dem es kein Reißen gibt. Und Allah hört und weiß alles.“ (al-baqara; 2; 256)