Sira Teil 22: Der letzte Ansturm des alten Arabien

 

Der Prophet blieb nach dem Einzug in Mekka fast zwanzig Tage in der Stadt. Die Ansar, die „Helfer“ aus Medina, befürchteten schon, er würde jetzt für immer in Mekka bleiben, wo er sich nun mit seinem Volk versöhnt hatte. Als der Prophet aber davon hörte, sagte er ihnen: „Gott behüte! Das Leben ist bei euch und sterben will ich auch bei euch!“

Obwohl die Einnahme so eindrucksvoll vonstatten gegangen war und zu dem großen Heer von 10.000 Mann nun auch noch die Mekkaner mit einigen Tausend hinzukamen, beschlossen einige große benachbarte Stämme von Mekka selbstbewusst, gegen die Muslime aufzumarschieren: die mächtigen Hawazin und Thaqif und einige andere kleinere Stämme, darunter auch die Banu Bakr, die den Vertragsbruch der Koraisch provoziert hatten. Es war der letzte verzweifelte arabische Versuch, den endgültigen Sieg des Islam zu verhindern.

Uhud wiederholt sich

Die Muslime marschierten ihnen entgegen. Aber so wie damals zu Uhud, als kurzzeitiger Hochmut ihnen eine schwere Niederlage beschert hatte, erging es ihnen auch diesmal. Ihnen gefiel ihre militärische Stärke, sie glaubten an sich, statt auf Gottes Hilfe zu hoffen. So gerieten sie in dem schmalen Tal von Hunayn in den Hinterhalt der Feinde. Sie wurden mit Pfeilsalven überzogen und verheerend geschlagen. Wie damals zu Uhud ergriff heute die große Armee die Flucht und der Prophet blieb mit wenigen Männern zurück. Wie damals das erdrückende Gerücht vom Tod des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, aus den Muslimen einen verzweifelt umherirrenden Haufen gemacht hatte, so mutmaßten einige Muslime auch diesmal, heute würde der Zauber des Propheten endgültig auffliegen.

Auch wenn der Glaube stark ist, so vermag die unmittelbar erfahrene Wirklichkeit ihn bisweilen zu erdrücken und ins Wanken zu bringen. Dies betraf nicht nur die „Neumuslime“, die sich in Mekka gerade erst mehr dem siegreichen Islam angeschlossen hatten als sich wie ihre Vorgänger in spiritueller und geistiger Ergriffenheit dem Allmächtigen zu ergeben. Auch die alten Muslime, die all die Jahre mit dem Propheten die Offenbarung empfangen hatten und den Islam in seiner Ganzheit verinnerlicht hatten, verloren die Orientierung. Nur sehr wenige hatten in diesen brenzligen Minuten den Mut der Gewissheit bewahrt. Und auch diesmal kommentierte der Koran diese Situation:

Gott half euch schon auf vielen Gefielden, und am Tag von Hunayn, als euch eure große Zahl gefiel – doch sie half euch nichts – und die Erde um euch eng wurde in ihrer Weite. Dann kehrtet ihr den Rücken. (at-tauba; 9; 25)

Vielleicht war diese Episode eine Lektion vor allem für die vielen neuen Muslime.

"Männer der Akazie!"

Von den mehr als 10.000 Kämpfern waren nur etwa einhundert auf dem Feld geblieben. Sie waren fast alle von den Muhajirun und Ansar. Es zeigte sich nun die unübertroffene Tapferkeit Muhammads, der inzwischen sechzig Jahre alt war. Gottes Segen und Frieden über ihn. Er ritt direkt auf die Feinde zu und rief die Muslime zu ihrem Propheten. „Wo sind die Leute der Akazie?“, lies er Abbas mit seiner gewaltigen Stimme rufen. Die Muslime waren an ihre schicksalhafte Stunde des „Treueids unter dem Baum“ erinnert und fassten sich ein Herz. Abu Sufian sah, wie der Prophet von seinem Reittier abstieg und Gott um Hilfe bat. Sie kam, ähnlich wie bei Badr: Heerscharen, die sie nicht sehen konnten und ihnen im Kampf beistanden. Erst dann gelang es, die Feinde zurückzudrängen und schließlich endgültig in die Flucht zu schlagen.

Alsdann sandte Allah Seinen Frieden auf Seinen Gesandten und auf die Gläubigen herab und sandte Heerscharen hernieder, die ihr nicht saht, und strafte jene, die ungläubig waren. Das ist der Lohn der Ungläubigen.“ (at-tauba; 9; 26)

Die Beute von Hunayn

Jetzt flohen Hawazin und Thaqif und verschanzten sich in der Festung von Taif. Die Muslime verfolgten sie und belagerten sie mehr als zwei Wochen lang, aber ergebnislos. Der Prophet beschloss schließlich die Belagerung abzubrechen und begab sich zurück an jenen Ort, an dem die Angreifer in törichter Selbstüberhebung ihre Frauen und Kinder und alle ihre Kamele und Nutztiere zusammengebracht hatten. Sie hätten sie anspornen sollen – und wenn sie im Kampf unterliegen sollten, dann sollte alles dem Verlust preisgegeben werden. Der Prophet wartete lange mit der Aufteilung der Beute, in der Hoffnung, die Feinde würden sich wieder besinnen und ihre Frauen und Kinder und ihr Hab und Gut wieder zurückhaben wollen. Aber sie kamen nicht. Und so teilte der Prophet alles unter seinen Kämpfern auf.

Erst danach schickten die unterlegenen Angreifer ihre Gesandten und baten den Propheten um Nachsicht und Rückgewähr. Er versprach ihnen nichts, lies sie aber zwischen ihrem Vermögen und ihren Familien entscheiden. Als sie sich für letztere entschieden, sollten sie nach dem nächsten gemeinsamen Gebet ihre Bitte an die versammelten muslimischen Stämme richten. Er selbst würde ihre Bitte unterstützen. Als sie dies taten, verkündete der Prophet für sich und seine Sippe sein Einverständnis und die Ansar und Muhajirun folgten ihm intuitiv. Und auch die „neuen“ Muslime, die zunächst auf ihrem Recht beharrten, gelang es doch noch umzustimmen.