Sira Teil 19: Der Vertrag von Hudaybiya

 

Der Traum des Propheten

Die Grabenschlacht und die Belagerung der Banu Quraida fanden gegen Ende des 5. Jahres n.H. (Februar/März 627 n.Chr.) statt. Die Konfrontation mit den Koraisch legte sich wieder wie zuvor, die arabischen Stämme der Ghatafan würden in absehbarer Zeit Medina sicher auch nicht mehr angreifen und die Juden der Banu Nadhir, die zurzeit bei ihren Glaubensbrüdern in Khaibar untergekommen waren, würden keinen Alleingang wagen. Abgesehen von kleineren Scharmützeln mit einigen arabischen Stämmen war das folgende Jahr vergleichsweise ruhig.

Der Prophet, Allahs Segen und Frieden über ihn, hatte in diesem Jahr einen Traum, in dem er zusammen mit seinen Gefährten in der Heiligen Moschee von Mekka war und die rituellen Stationen der kleinen Wallfahrt (Umra) vollzog. Als er seinen Gefährten davon erzählte, war ihre Freude groß, denn Träume von Propheten kommen Offenbarungen gleich.

Im Monat dhu l-Qa’da des Jahres 6 n.H. (März 628 n.Chr.) machte sich der Prophet zusammen mit etwa 1.400 Muslimen auf den Weg nach Mekka. Für die Mekkaner entstand dadurch eine schwierige Situation. Einerseits mussten sie gemäß dem arabischen Brauch und ihrer Rolle als Hüter des Heiligtums allen Pilgern den Zugang zur Moschee erlauben – zumal in einem heiligen Monat wie diesem. Andererseits käme dies aber der Anerkennung des muslimischen Gemeinwesens gleich und der Prophet hätte sich durchgesetzt, nachdem sie ihn vertrieben hatten. Sie entschieden, ihnen die Wallfahrt zu verwehren und schickten ihnen Kampftrupps entgegen.

„Kein Herrscher, der von seinen Leuten so verehrt wird wie Muhammad.“

Ein Mann aus dem seit jeher mit der Sippe des Propheten befreundeten Stamm der Khuza’a kam zu ihm, um als unparteiischer Dritter zu vermitteln. Der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, teilte ihm mit, dass sie in friedlicher Absicht als Pilger gekommen seien. Die Koraisch seien erschöpft von den Kämpfen und er würde warten, bis sie ihnen den Weg zur Moschee freimachen würden. Doch wenn sie kämpfen wollten, dann wären die Muslime zum Kampf entschlossen.

Die Koraisch gingen darauf nicht ein und versuchten Zeit zu gewinnen. In ihrer Ratlosigkeit schickten sie lediglich nacheinander andere Botschafter zum Propheten, die ihnen jedes Mal die friedliche Absicht der Muslime bestätigten und rieten, sie zur heiligen Stätte hereinziehen zu lassen. Einer von ihnen, der bei den Muslimen provokant aufgetreten war, war von ihnen sehr beeindruckt und berichtete den Leuten in Mekka: „Ich habe den Kaiser von Byzanz und den Herrscher von Persien mit all ihrem Pomp gesehen, aber ich habe noch keinen Mann gesehen, der so verehrt wurde wie Muhammad von seinen Leuten.“

Die Älteren Herren von Mekka waren in der Tat kriegsmüde und neigten zum Frieden. Sie suchten offenbar nur nach einem Weg, ihr Gesicht zu wahren. Einige Jüngere versuchten aber den Kampf zu provozieren. Eine Gruppe von etwa siebzig von ihnen versuchte, die Muslime in ihrem Lager zu überfallen und so vielleicht durch das Töten einiger Muslime den Propheten in den Kampf zu zwingen. Aber den Muslimen gelang es, Blutvergießen zu verhindern und die Angreifer alle festzunehmen. Sie übergaben sie als Zeichen des guten Willens an die Koraisch.

„Warum lassen wir uns so demütigen?“

Die Zuspitzung der Situation ereignete sich erst nachdem der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, Uthman ibn Affan als Botschafter in die Stadt geschickt hatte. Es war, als das Gerücht von seiner Ermordung den Propheten erreichte, dass er, unter einem Akazienbaum sitzend, seinen Kameraden den Eid abnahm, dass sie alle zusammenstehen würden. Später sandte Gott im Koran einen Vers herab, der von diesem Treueschwur spricht:

Gott hatte Wohlgefallen an den Gläubigen, als sie dir unter dem Baum die Treue schworen; und Er wusste, was in ihren Herzen war, und Er sandte die Ruhe auf sie herab und belohnte sie mit einem nahen Sieg. (al-fath; 48; 18)

Seither ist dieses Ereignis als „der Treueschwur des Wohlgefallens“ bekannt. Die Sahaba, die dem Propheten diesen Treueid gaben, wurden auch die „Leute der Akazie“ genannt.

Die Koraisch erfuhren von dem Entschluss zum Angriff und bemühten sich nun ihrerseits, den Zusammenstoß doch noch durch ein Abkommen zu verhindern. Sie schickten nun endlich einen Gesandten mit dem Auftrag, einen Vertrag auszuhandeln. Sie bestanden jedoch darauf, die Muslime in diesem Jahr die Wallfahrt nicht vollziehen zu lassen, da die Araber sonst sagen würden, der Prophet sei gegen ihren Willen in die Stadt eingedrungen. Es wurde ein Abkommen geschlossen, das vier Punkte enthielt:

1. die Muslime kehren diesmal zurück und dürfen erst in einem Jahr wieder nach Mekka pilgern,
2. ein zehnjähriger Waffenstillstand,
3. Bündnisfreiheit für die anderen arabischen Stämme; Verbündete genießen denselben Schutz wie die Bündnispartner selbst,
4. Männer, die aus Mekka zum Propheten flüchten, werden von ihm zurückgewiesen, während Flüchtlinge aus Medina nach Mekka nicht zurückgewiesen werden.

Der erste und der vierte Punkt widersprachen dem Gerechtigkeitsgefühl der mitgereisten Sahaba. Sie konnten die Entscheidung des Propheten nicht nachvollziehen. Der temperamentvolle Omar ging zu ihm und stellte ihm missbilligend die Frage: „Warum lassen wir uns in unserer Religion so demütigen?“ Der Unmut der Gefährten wurde noch dadurch verstärkt, dass noch während der Niederschrift des Vertrags ein junger Mann aus Mekka geflohen kam und der Prophet ihn zurückweisen musste.

Ein offenkundiger Sieg

Bei näherem Hinsehen erkennt man jedoch den klaren Vorteil des Abkommens für die Muslime. Mit dem Waffenstillstand gaben die Koraisch nämlich ihren Kampf gegen den Islam endgültig auf und der Prophet konnte die Offenbarung nun ungestört verkünden. Durch die Bündnisfreiheit gaben die Koraisch zudem ihren Vormachtanspruch unter den Arabern auf. Der letzte Punkt diente mehr der Gesichtswahrung der Mekkaner und war weniger von substanzieller Bedeutung. Der Prophet wusste ja, dass die Gläubigen sich durch Verfolgung nicht von ihrem Glauben abbringen lassen würden. Wenn hingegen jemand Medina den Rücken kehren sollte – die Fälle waren an der Hand abzählbar –, dann erlaubte dies die Glaubensfreiheit ohnehin.

Ein Problem wären allerdings konvertierte Frauen aus Mekka. Sie hätten es sicher schwerer gehabt, der Verfolgung in Mekka zu entrinnen. Als einer Gruppe von Frauen kurz nach der Unterzeichnung des Vertrags die Flucht zum Lager der Muslime gelang und die Delegierten der Koraisch ihre Abweisung forderten, bestand der Prophet vielleicht deshalb darauf, dass der Vertrag nur von Männern sprach und lies sie mitreisen. Trotz alledem verstanden die meisten Muslime nicht, warum die Sure al-fath (der Sieg), die dem Propheten auf der Rückreise offenbart wurde, diese Episode einen „offenkundigen Sieg“ nannte.

Wir haben dir einen offenkundigen Sieg verliehen, damit Allah dir deine vergangene und künftige Schuld vergebe, und damit Er Seine Gnade an dir vollende und dich auf einen geraden Weg führe, und damit Allah dich mit einem mächtigen Beistand unterstütze. (al-fath; 48; 1-2)

Dies wurde erst nach und nach in den folgenden zwei Jahren deutlich. In den vergangenen Jahren hatte der Krieg als Barriere zwischen den Muslimen und den Götzendienern gestanden. Jetzt, da Frieden herrschte, begegneten sie sich nicht als Feinde, sondern als Menschen. Der Islam breitete sich in diesen Jahren sehr schnell aus.