Sira Teil 23: Die Sorge der Ansar um ihren Propheten

 

Der Prophet begegnet Habgier mit Großzügigkeit

Die Feinde hatten all ihren Besitz und ihre Familien zusammengeführt – und das war reichlich: 24.000 Kamele, 40.000 Schafe, 4.000 Silbermünzen sollen es gewesen sein – und 6.000 Menschenseelen. Als der Prophet mit der Aufteilung unter den versammelten Kriegern begann, meldeten sich als erstes die großen Koraischiten. Abu Sufian verlangte für sich einhundert Kamele. Der Prophet gewährte sie ihm. Dann verlangte er einhundert weitere für seinen Sohn Muawiya und noch einmal einhundert für seinen zweiten Sohn Yazid. Der Prophet gewährte sie ihm ebenfalls ohne Zögern. Dann teilte er weiter den neuen Muslimen unverhältnismäßig hohe Anteile an der Beute zu. Bald war die gesamte Beute verteilt. Die Mekkaner, die den Propheten einst vertrieben hatten, waren alle reichlich berücksichtigt worden. Auch Araber aus anderen Stämmen. Aber die Ansar, jene Leute, zu denen der Prophet geflohen war und die mit ihm ihre Stadt geteilt hatten, ja die ihr gesamtes Leben nach seinem Weg ausgerichtet hatten, waren durchweg ohne Zuteilung ausgegangen.

Kennt der Prophet nur noch sein Volk?

Auch wenn sie an den Propheten und die Sache Gottes glaubten, so waren sie doch tief enttäuscht und auch besorgt. Welche Bedeutung hatten sie jetzt für den Propheten, da seine ehemaliger Stammesverbund sich ihm angeschossen hatte? Welche Rolle spielten sie in seinen Plänen? Der Islam hatte zwar die Brüderlichkeit im Glauben der blinden Stammeszugehörigkeit entgegengesetzt, aber die alten Bindungen spielten noch immer eine große Rolle. Das war bei ihnen so und das war bei allen anderen Arabern, die sich dem Islam angeschlossen hatten auch so. Sie hatten die große Nachsicht des Propheten und seine versöhnlichen Gesten zu seinen Leuten in Mekka gesehen. Und nun sahen sie, wie er de Koraisch nicht nur übermäßig bevorzugt hatte, sondern auch, wie er auch sie selbst, die Aws und Khazraj, völlig ignoriert hatte. Es kamen ihnen vielleicht Erinnerungen an jene schicksalsträchtige Sitzung von Akaba, in der sie ihm die Treue geschworen hatten. Als sie nachfragten, ob er sie wieder verlassen werde, wenn die Koraisch sich ihm doch noch folgen sollten. Als sie fragten, was sie denn für ihre Leistung bekommen würden, und als sich auf seine lapidare Antwort „Das Paradies.“ einließen. Nun hatte sich sein Volk ihm angeschlossen. Und nun hatte er sie augenscheinlich vergessen.

Sie mussten ihren Gram und ihren Groll aussprechen und versammelten sich an einem Ort, wo sie untereinander waren. Sa’d bin Ubada, ihr khazrajitischer Anführer, ging besorgt zum Propheten und sagte zu ihm: „Gesandter Gottes, diese Leute der Ansar empfinden Unbehagen über deine Aufteilung der Beute. Du hast sie unter deinem Volk aufgeteilt und anderen Arabern auch davon gegeben. Aber sie sind leer ausgegangen.“ „Und du, Sa’d?“, fragte ihn der Prophet. „Gesandter Gottes, ich bin auch nur einer aus meinem Volk.“ Der Prophet wies ihn an, die Ansar zu versammeln.

"Ihr hättet Recht und man würde euch Recht geben."

Als er dorthin zu ihnen kam, eröffnete er seine Ansprache zu ihnen mit dem üblichen Dank an Gott. Dann sagte er: „Ihr Ansar. Was ist das für ein Gerede, das mich von euch erreicht hat, und für ein Grollen, das ihr gegen mich in euren Herzen hegt?“ Dann fuhr er fort: „Bin euch nicht zu euch gekommen, als ihr in der Irre wart, und Gott hat euch ins Licht geführt? War ihr nicht arm und hat euch Gott nicht reichlich gegeben? Wart ihr nicht Feinde und hat Gott eure Herzen nicht zusammengeführt?“ Sie antworteten: „Doch, doch, Gesandter Gottes. Und wir sind dafür dankbar.“ Es waren schwere Argumente des Propheten, Argumente, gegen die sie nichts einwenden konnten. Sie stellten sie still, aber sie haben an ihrem Befinden wahrscheinlich nichts geändert.
Es war aber der Prophet. Wenn er sie nicht berücksichtigt hatte, so hatte er sich selbst erst recht nicht berücksichtigt. Wenn sie ihr Leben Gott hingegeben hatten, so war er darin unverändert ihr Weggefährte. Was sie mit ihm vereinte entzog sich der irdischen Welt, und so konnten irdische Güter es auch nicht ins Wanken bringen. Er wusste, dass diese Gewissheit tief in ihnen gefestigt war, dass sie nur der Bestätigung bedurfte, der Vergewisserung. „Wollt ihr mir nicht antworten, ihr Ansar?“, fragte er, als von ihnen nichts kam. Doch womit sollten sie ihm antworten? Ihr Respekt vor dem Propheten war zu groß, als dass sich gegen den Pathos seiner Worte gewehrt hätten. Deshalb übernahm er für sie die Argumentation: „Bei Gott, seien wir doch ehrlich. Wenn ihr wolltet, ihr könntet sprechen, und ihr hättet Recht und man würde euch Recht geben: Ihr könntet sagen: Du wurdest verleugnet, als du zu uns gekommen bist, und wir haben dir geglaubt, du warst im Stich gelassen, und wir haben dich unterstützt, vertrieben und wir haben dich aufgenommen, bedürftig und wir haben dir getröstet.“ Dann kam er zum entscheidenden Punkt: „Ihr Ansar, seid ihr in euren Herzen denn verstimmt wegen weltlichem Ramsch, mit dem ich Leute für den Islam gewinnen wollte? Weil ich euch eurem Glauben überlassen habe? Seid ihr nicht damit zufrieden, dass die Leute mit Schaf und Maultier nach Hause gehen, dass ihr aber mit dem Gesandten Gottes heimkehrt? Denn bei dem, in dessen Händen mein Leben liegt, wäre nicht die Hijra, ich wäre einer von den Ansar. Und wenn die Leute einen Weg gingen, die Ansar aber einen anderen, ich ginge den Weg der Ansar.“ Dann wendete er sich zu Gott und betete: „O Gott, Deine Gnade für die Ansar, die Kindern der Ansar und die Kindeskindern der Ansar!“ Der Überlieferer dieser Geschichte berichtet, dass die Ansar nach dieser Ansprache des Propheten weinten, bis ihre Bärte von ihren Tränen feucht waren. „Wir sind glücklich mit dem Gesandten Gottes als unserem Anteil."