Sira, Teil 2 - Muhammad vor der Berufung


Abu Talib, der Onkel Muhammads, bei dem er seit seinem achten Lebensjahr als Vollwaise aufwuchs, war nicht reich und hatte viele Kinder. Muhammad erkannte sehr früh seine wirtschaftliche Situation und versuchte noch als Kind, etwas zum Lebensunterhalt zu verdienen. Vor allem hütete er Schafe für die reicheren Leute der Stadt. Auch von einer Geschäftspartnerschaft mit einem Freund wird berichtet. Als Zwölfjähriger nahm ihn seine Onkel mit auf eine Geschäftsreise nach Syrien. Einige Jahre später ging er selbständig im Auftrag der angesehenen Geschäftsfrau Khadija auf eine solche Karawanenreise.

Muhammad unternimmt seine ersten Geschäftsreisen

Diese beiden Reisen spielen in der europäischen Orientalistik eine sehr große Rolle. Hier soll er christlichen Geistlichen begegnet sein, die sie gerne als für Muhammad prägende Erlebnisse betrachten, die die von ihnen so christliche Inspiration seiner Verkündung erklären. Die wenigen Überlieferungen berichten jedoch vor allem von einer Begegnung mit einem asketischen christlichen Einsiedler namens Bahira auf der ersten Reise. Glauben wir den Berichten, dann hat sich Bahira bei diesem kurzen Besuch vor allem mit seinem Onkel und den anderen Männern der Karawane unterhalten. Dabei soll er auch eine prophetische Zukunft des Jungen vorausgesagt haben. Die zweite Reise war für ihn in erster Linie eine berufliche Unternehmung, die er mit großem Verantwortungsbewusstsein und kaufmännischem Geschick ausführte. Khadija hatte ihren alten Sklaven mit ihm geschickt, der ihr viel von ihm erzählte. Sie soll damals geschieden und vierzig Jahre alt gewesen sein. Vielleicht war sie aber auch jünger. Jedenfalls erwies sich Muhammad für sie als vertrauenswürdig, fähig - und liebenswürdig. Es dauerte nicht lang und sie machte ihm einen Heiratsantrag, den er ohne Zögern annahm.

Khadija

Sie verbrachten zusammen eine glückliche Ehe. Ihr gemeinsames Leben dauerte 26 Jahre. Nach ihrem Tod, als er andere Frauen heiratete, würde er immer wieder mit großer Liebe und Dankbarkeit von ihr sprechen. Sie hatten sieben gemeinsame Kinder, drei Jungen und vier Mädchen. Die Jungen starben noch in frühem Kindesalter. Die Mädchen erreichten alle das Erwachsenenalter, aber alle starben vor ihm außer Fatima, die noch sechs Monate nach ihrem Vater lebte und als einzige Kinder gebar. Für die Schiiten ist Fatima sogar die einzige Tochter des Propheten, die anderen gelten bei ihnen als Töchter Khadijas aus ihrer früheren Ehe.

Die Ehe mit Khadija mag sein gesellschaftliches Ansehen unter den Mekkanern gestärkt haben. Es waren aber vor allem sein e Redlichkeit und seine Art, der ihm Achtung und Beliebtheit bei allen Menschen der Stadt einbrachte. Sie gaben ihm den Beinamen al-Amin, was soviel bedeutet, wie „der Vertauenswürdige“, ließen sich von ihm bei Problemen beraten und übergaben gerne ihre Vermögenswerte in seine Obhut. Als es einmal nach dem Wiederaufbau der Ka’ba darum ging, den Schwarzen Stein wieder an seine Stelle einzusetzen, konnten sich die Mekkaner nicht einigen, welcher Sippe diese Ehre zukommen sollte. Sie beschlossen, in der Moschee zu warten und den ersten, der sie betreten würde, entscheiden zu lassen. Als dieser Mann Muhammad war, waren aller hörbar erleichtert. Sein Vorschlag war, den Stein auf ein großes Tuch zu legen, das ein Vertreter jeder Sippe mit anfassen sollte, um den Stein gemeinsam an seine Stelle zu tragen. Als es soweit war, sollte Muhammad dann einstimmig mit seinen Händen den Stein einsetzten.

Ein einfacher und geachteter Bürger der Stadt

Aus dieser Zeit wird auch von einem Fall berichtet, bei dem ein mächtiger Mann der Stadt einen Reisenden in grober Weise übervorteilte. Einige angesehene Mekkaner setzten sich zusammen um dem Reisenden zu seinem Recht zu verhelfen. Zu dieser Versammlung wurde auch Muhammad eingeladen. Die versammelten Männer vereinbarten, dass sie künftig kein Unrecht dieser Art in der Stadt mehr zulassen würden. Mit Druck und guten Worten erreichten sie dann auch, dass der mächtige Mekkaner dem Reisenden sein Recht zurückgewährte. Noch viele Jahre später – als Prophet – hob Muhammad die Vortrefflichkeit dieser Versammlung hervor. Insgesamt ist das Leben Muhammads vor der Offenbarung bis auf einige wenige Episoden und Ereignisse kaum dokumentiert. Er scheint ein eher bescheidenes und unauffälliges Leben geführt zu haben. Nicht einmal der Umstand, dass er in dieser Zeit nie einem Götzen huldigte und auch sonst den Sünden der Jugend und des Alters fernblieb – so wie bereits die Propheten vor ihm auch – scheint seinen Mitmenschen sonderlich aufgefallen zu sein. Dass er nur zweimal in dieser Zeit an den ausgelassenen Partys der Stadt teilzunehmen beabsichtigte und dass ein ungewöhnlicher Schlaf ihn daran hinderte, wissen wir auch nur von ihm selbst.