Sira Teil 16: Der Tag der Klärung

 

Die Handelskarawane der Koraisch

Eine der Expeditionen, die der Prophet auf den Weg schickte, sollte eine große Handelskarawane der Koraisch auf ihrer Reise nach Syrien überfallen. Sie entging ihr aber. Als sie drei Monate später zurückkehrte, waren ihre tausend Kamele voll beladen mit Kostbarkeiten und sie wurde von nur vierzig Reitern eskortiert. Es war eine hervorragende Gelegenheit, gewaltiges Kapital der mächtigen Männer der Koraisch zu beschlagnahmen und den Feind entscheidend zu schwächen. Die Karawane wurde von Abu Sufian geführt, einem der Stammesoberhäupter von Mekka. Der Prophet rückte selbst mit 314 Mann, zwei oder drei Pferden und etwa siebzig Maultieren aus, um sie abzufangen. Allerdings entkam die Karawane auch dieses Mal.

Abu Sufian hatte schnell reagiert, die Marschroute geändert und Reiter nach Mekka geschickt, um schnelle Hilfe kommen zu lassen. Während die Muslime noch unterwegs zur Karawane des Abu Sufian unterwegs waren, hatten die Koraisch bereits eine Armee von etwa 1.300 Mann, einhundert Pferden und unzähligen Kamelen mobilisiert. Als sie erfuhren, dass Abu Sufian, ihre Karawane in Sicherheit gebracht hatte, waren sie schon weit in Richtung Norden vorgerückt. Sie waren zunächst uneinig, ob sie zurückkehren oder die Gelegenheit nutzen sollten, die Muslime anzugreifen. Am Ende setzte sich die Meinung durch, die Gelegenheit zu nutzen und den Propheten anzugreifen, um damit klare Verhältnisse zu schaffen.

Eine gefährliche Wende des Geschehens

Als den Muslimen klar war, dass sie bei ihrer spärlichen Bewaffnung möglicherweise einer haushohen Übermacht von gut ausgerüsteten Kriegern gegenüber stehen würden, versammelte sie der Prophet und fragte sie um ihren Rat und ihre Entschlossenheit. Es gab eine Diskussion, in der einige Männer ihren Unmut über den Verlauf und das Ergebnis der Expedition äußerten. Sie wollten lieber umkehren. Ihnen wurde später folgender Vers gewidmet:

Dies (genauso), wie dein Herr dich in gerechter Weise aus deinem Hause führte, während ein Teil der Gläubigen abgeneigt war. [8:5] Sie streiten mit dir über die Wahrheit, nachdem sie (ihnen) doch deutlich kund geworden ist, als ob sie in den Tod getrieben würden und (ihn) vor Augen hätten. (al-anfal; 8; 5-6)

Aber die Mehrheit der Expeditionsteilnehmer war für den Kampf. Es sprachen sich Abu Bakr, Omar und ein anderer Mann von den Muhajirun entschlossen für den Kampf aus. Doch den Propheten interessierte vor allem die Meinung der Ansar, denn der Treuebund, den sie in Aqaba mit ihm geschlossen hatten, verpflichtete sie nur zu seiner Verteidigung in Medina selbst, nicht zum Kampf auf dem offenen Feld. Es war eine konzentrierte und besorgte Atmosphäre. Die Leute wussten um die Schicksalhaftigkeit der Situation und auch, dass sie in Wirklichkeit keine Wahl hatten, denn ein Rückzug würde wahrscheinlich die Belagerung Medinas nach sich ziehen.

Sa’d bin Ubada, der Anführer der Khazraj, erhob sich nach einer Weile der angespannten Stille und erklärte für die Ansar: „Wir glauben an dich und wir glauben an deine Botschaft. Wir glauben an die Wahrheit dessen, was du uns verkündet hast. Wir haben dir unseren Eid geschworen, auf dich zu hören und dir zu gehorchen. ... Wir sind gute Krieger und standhaft im Kampf. Auf dass Gott dich von uns Tapferkeit sehen lasse, die dir gefällt! Also führe uns mit Gottes Segen!“ Der Prophet war sehr erfreut über diese Worte und teilte ihnen jetzt mit, dass ihnen der Sieg über die Karawane oder das Heer versprochen worden sei. „Vorwärts und seid guten Mutes!“, rief er. „Denn Gott der Höchste hat mir eins von beiden versprochen und mir ist schon jetzt, als sähe ich den Feind darniederliegen.“

Und als Allah euch eine der beiden Scharen versprach, sie solle euch zufallen, und ihr wünschtet, dass diejenige ohne Kampfkraft für euch bestimmt sei. Allah aber wollte, dass die Wahrheit durch Seine Worte vollbracht werde und dass die Wurzel der Ungläubigen ausgerottet werde, damit Er die Wahrheit an den Tag bringe und den Trug zunichte mache, mag es den Übeltätern auch zuwider sein. (al-anfal; 8; 7-8)

Dennoch war die Furcht der Muslime vor einer Niederlage groß. Sie flehten Gott um Unterstützung an und Er ließ sie ihnen angedeihen, in dem er ihre Gemüter mit einem leichten Regen und einem ruhigen Schlaf beruhigte und ihnen Hilfe versprach:

Da ihr zu eurem Herrn um Rettung anrieft, und Er euch erhörte: "Ich will euch mit tausend hintereinander reitenden Engeln beistehen." Allah sagte dies nur als frohe Botschaft, damit eure Herzen damit Ruhe finden. Denn der Sieg kommt nur von Allah; wahrlich, Allah ist mächtig und weise. Als Er den Schlaf euch überkommen ließ als eine Sicherheit von Ihm Wasser und auf euch aus den Wolken herabsandte, um euch damit zu reinigen und Satans Befleckung von euch hinwegzunehmen, und um eure Herzen zu stärken und die Schritte zu festigen. (al-anfal; 8; 41;9-11)

„Der Tag der Klärung“

Sie bezogen ihre Stellung am Brunnen von Badr. Am nächsten Tag, den 17. Ramadan im Jahre 2 n.H. (März 624 n.Chr.) fand der Kampf statt. Trotz der eindrucksvollen Übermacht der Koraisch konnten die Muslime mit Gottes unmittelbarer Unterstützung einen überragenden Sieg erringen. Dabei waren sie nur ausgezogen, um eine fast wehrlose Karawane einzufangen und waren entsprechend schlecht gerüstet. Gottes Hilfe kam in Form der versprochenen Engelscharen und der enormen Kampfmoral der Gläubigen. Auf der Seite der Koraisch fielen die wichtigsten Führer und mächtigsten Männer: Abu Jahl, Umayya bin Khalaf, Utba bin Rabi’a und eine Reihe anderer. Der Koran wird von diesem Tag als dem „Tag der Klärung (wörtl. am ehesten „Unterscheidung“), dem Tage, an dem die beiden Heere aufeinander trafen“ (al-anfal; 8; 41) sprechen.

Der Sieg von Badr war entscheidend und verschaffte den Muslimen Respekt unter den arabischen Stämmen. Das Selbstvertrauen der Muslime erfuhr eine enorme Stärkung. Aus der kleinen wehrlosen Schar von Gläubigen, die vor wenigen Jahren noch auf der Flucht durch die Wüste war, war eine wehrhafte Gemeinschaft geworden, die die angesehenste und stärkste unter den arabischen Mächten bezwingen konnte.

Der Übermut der Banu Qainuqa’

Das politische Gewicht der drei großen jüdischen Stämme von Medina hatte sich durch die sichere Einigung der beiden arabischen Stämme unter dem Propheten in Bedeutungslosigkeit verwandelt. Nach dem Sieg von Badr schien die Unumkehrbarkeit der neuen Lage endgültig, was ihr Unbehagen und ihren Frust stärkte. Daran änderte auch die Unversehrtheit und Autonomie nichts, die ihnen die mit dem Propheten geschlossenen Verträge garantierten.

Obwohl sie sich im Hintergrund ständig mit den Koraisch und den Leuten um Abdullah bin Ubayy zum gemeinsamen Kampf gegen den Propheten berieten, zeigten sie jedoch meist keine offene Feindseligkeit, sondern passten sich zumindest vordergründig an die neue Situation an, ob sie wollten oder nicht. Anders die Banu Qainuqa’, die innerhalb der Stadt von Medina in einem eigenen befestigten Viertel lebten. Sie hatten zwar auch einen Vertrag mit dem Propheten geschlossen, aber sie versteckten ihre Gehässigkeit und Feindseligkeit nicht. So hatten sie schon kurz nach der Ankunft des Propheten die Aws und Kahazraj gegeneinander aufzuhetzen versucht und immer wieder durch Beleidigungen und Gehässigkeiten ihrem Unmut Ausdruck verliehen. Sie waren gute Handwerker, vor allem auch gute Waffenschmiede und zählten 700 gut gerüstete Krieger. Vielleicht war dies der Grund für ihren Übermut.

Ihre Provokationen waren längst ins Unerträgliche gestiegen, als sich ein entscheidender Zwischenfall ereignete: Eine Frau von den Ansar war in den Markt der Banu Qainuqa’ zum Verkauf ihrer Ware gekommen. Einige Juden machten sich über die Frau lustig und einem ihrer Goldschmiede gelang es durch einen Trick, sie von ihrer Kleidung zu entblößen. Ein muslimischer Mann, der ihren Hilferuf hörte, eilte herbei und verwickelte sich mit ihm in einen Kampf, in dem er den Übeltäter tötete. Darauf kamen Verwandte des Goldschmieds und töteten den Araber.

Vielleicht hätte der Zwischenfall friedlich gelöst werden können. Aber die Feindseligkeit war zu offenkundig, so dass beide Seiten sofort nach dem Vorfall gegeneinander für den Kampf mobilisierten. Die Banu Qainuqa’ waren ehemals Verbündete der Khazraj und mit deren ehemaligem Oberhaupt Abdullah bin Ubayy in ständigem Austausch. Sie sollen auch auf seine militärische Unterstützung gezählt haben, als sie sich nach dem Vorfall in ihrer Festung verschanzt hatten.

Die Muslime belagerten sie im Schuwal 2 n.H. (April 624 n.Chr.). Die Belagerten warteten vergeblich auf die Unterstützung ihres Verbündeten, der den Belagerungsring von außen aufbrechen sollte. Nach zwei Wochen kapitulierten sie schließlich und der Prophet schickte sie ins Exil.
Unter den arabischen Stämmen, die um Medina herum lebten, war das Ansehen der Muslime zwar durch den Sieg von Badr enorm gestiegen. Dennoch mussten die Muslime ständig auf der Hut sein und immer wieder zum Kampf gegen ihre Truppen ausrücken. Die Auseinandersetzungen beschränkten sich jedoch auf kleine Scharmützel.