IGGÖ-Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich

 

Freitagspredigt 06.11.2020

Anlässlich des schrecklichen Vorfalls am vergangenen Montagabend (02.11.2020) in der Wiener Innenstadt

Verehrte Musliminnen und Muslime,

Nur wenige Tagen nach dem brutalen Anschlag in der Wiener Innenstadt, sind wir heute immer noch fassungslos und erschüttert über die Ereignisse vom vergangenen Montagabend. Und wir fragen uns, was muss in einem jungen, erst 20 Jahre alten Mann bloß vorgegangen sein, um zu solch ein gewaltsamen Akt bereit zu sein. Wer oder was hat diesen jungen Mann dazu gebracht eine ganze Nation, in ihrer Vielfalt und Buntheit, in Angst und Schrecken zu versetzen?

Unser Gedenken, unser tiefempfundenes Mitgefühl, unser Beileid gilt den Opfern, ihren Hinterbliebenen, Ihren Familien und Freunden. Es gilt allen Verletzten, denen wir rasche und baldige Genesung wünschen. Und es gilt unseren besorgten und verängstigten Mitmenschen, deren seelische Wunden heilen mögen.

Dieser Anschlag, meine lieben Geschwister, war ein Angriff auf uns Alle! Es war ein Anschlag auf unser friedvolles Zusammenleben Tür an Tür mit unseren Mitmenschen. Es waren feige Mordtaten, denen jeder und jede einzelne von uns hätte treffen können, denn der Täter hat seine Opfer vollkommen wahllos attackiert! Es war eine Tat, die uns in unserem tiefsten Inneren trifft, uns erschüttert und traurig macht.

Der Islam liefert uns die wichtigsten Empfehlungen und Anweisungen für unser Handeln. All dies, um Friede in dieser Welt und Friede in jener Welt zu erreichen. Die Förderung eines friedlichen Zusammenlebens in einer Gesellschaft mit verschiedenen Nationalitäten, unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Sprachen und Hautfarben, wie das in Österreich der Fall ist, ist ohne Zweifel eines der wichtigsten gesellschaftlichen Ziele des Islams.

Er fordert die ihnen von Allah verliehene Anerkennung und Bestätigung der Gleichheit aller Menschen in Würde und Achtung. Allah, der Erhabene verkündet im edlen Qur’an, dass die Menschheit trotz gleichem Ursprung, sehr vielfältig ist und dies zu bewahren ist:

O ihr Menschen, Wir haben euch aus einem Mann und einer Frau erschaffen, und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen mögt. Wahrlich, vor Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtige ist. Wahrlich, Allah ist Allwissend, Allkundig.“ (Qur’an /49:13)

Verehrte Gemeinde!

Jeden Freitag, zu dieser Stunde, wird von den Kanzeln in den Moscheen auf der ganzen Welt folgender Qur‘anvers an die Menschheit verkündet, damit sie sich daran orientieren und den Weg des Propheten Muhammeds (Friede und Segen auf ihn) folgen mögen.

Er lautet: „Allah gebietet die Gerechtigkeit, gütig zu sein und den Verwandten zu geben; Er verbietet das Schädliche, das Verwerfliche und die Gewalttätigkeit. Er ermahnt euch, auf dass ihr bedenken möget.“

Wir leben in einer Zeit der Ängste und der Verunsicherung. Fake-News regieren die Welt. Demagogen ergreifen das Wort. Verschwörungstheoretiker spalten die Menschen. Ganze Gesellschaften gleiten vor unseren Augen in Katastrophen ab. Irrationales, instinktgesteuertes Handeln hat bedächtiges und dialogorientiertes Handeln verdrängt. Und wir wissen: jeder Schritt einer Eskalation wird nur weitere Spaltungen hervorrufen. Je mehr ein Mensch die Kontrolle über sich und seine Emotionen verliert, desto mehr kontrollieren ihn Gefühle wie blinder Hass und Angst vor dem anderen. Und all das bringt bei seinem Gegenüber eine Gegenreaktion hervor. Der Beginn eines Teufelskreises im wahrsten Sinne des Wortes.

Umso mehr Wert müssen wir nun in die Bildung, Betreuung und Beratung unserer Kinder und Jugend in verschiedenen Lebenslagen und Belangen legen. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ermutigt uns, die Jugendarbeit in unseren Moscheegemeinden zu verstärken, offene Jugendarbeit zu gestalten und diese auch allen Jugendlichen zukommen zu lassen.

Immer mit dem Ziel Ihnen zu vermitteln: Als Individuen als auch als Gesellschaft durchleben wir verschiedenste Formen von Krisen und Prüfungen. Über unsere Taten und Äußerungen richtet nach unserem Verständnis einzig und allein unser Schöpfer. Kein anderer.

Der Prophet Muhammed verweist in diesem Zusammenhang auf die Intentionen der Menschen, die stets zum Guten führen soll, um das Gute zu verbreiten. Menschenverachtende Äußerungen oder übles Handeln eines Individuums dürfen niemals die Absicht eines Muslims, einer Muslima sein.

Und stiftet auf der Erde nicht Unheil, nachdem sie in Ordnung gebracht worden ist! Ruft IHN in Furcht und Begehren an. Gewiss, die Barmherzigkeit Allahs ist den Gutes Tuenden nahe.“ (Quran 7:56)

Die Botschaft ist klar und offenkundig: „Helft einander zur Güte und Gottesfurcht, aber helft einander nicht zur Sünde und feindseligem Vergehen“

Liebe Geschwister!

Denken wir an die großen Werte, die uns der Islam gebracht hat. Versuchen wir mit unseren Taten Vertrauen aufzubauen. Unser klares Handeln für Gerechtigkeit, ein menschenwürdiges Leben und die Rechte anderer, unsere klare Ablehnung von Gewalt, Terror, Hass Diffamierungen und verdrehte Schuldzuweisungen, sind getragen von Koranversen und den Texten der Sunnah. Sie zeigen uns, wie wir im gesellschaftlichen Leben miteinander umgehen sollen. Die große spirituelle und rechtliche Warnung gilt denjenigen, die die Rechte anderer verletzen!

Liebe Musliminnen und Muslime!

Diese Welt ist endlich. Unser Leben ist kürzer als ein Traum. Bald werden wir alle vor unserem Schöpfer stehen und befragt werden: Wir werden befragt werden, wie wir gehandelt haben. Wir werden befragt werden, ob wir uns für Gerechtigkeit und Menschenwürde eingesetzt haben. Und wir werden befragt werden, ob unsere Religion ein Lippenbekenntnis war oder ob sie von Herzen kam. Je mehr wir unser Leben auf dieses große Ereignis – die Begegnung mit dem Schöpfer – ausrichten, desto mehr werden wir die Kraft bekommen, wieder Besonnenheit und Ruhe in unserem Handeln zu verspüren.

Möge der Schöpfer uns diese Kraft geben, die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu sprechen. Möge er uns die Kraft geben, in diesen schwierigen Zeiten ein Licht für die Menschen zu sein und nicht ein Anlass für Spaltung und Hass.

Beenden wir unsere Chutba mit den Worten des Propheten Muhammed (Friede und Heil auf ihn); „der Muslim ist derjenige, von dessen Zunge und Hand die Menschen in Sicherheit sind.“

Wir bitten Allah, dem Allmächtigen, uns die Wahrheit zu zeigen und danach zu streben und uns vor der Ungerechtigkeit der Schöpfung zu beschützen.